Der Vargusnerv
Oft fühlen wir uns nicht ganz. Nicht ganz bei uns. Haben den Eindruck, dass Kopf, Herz und Bauch keine Einheit bilden, dass die Verbindung fehlt. Unsere Lebensmelodie klingt disharmonisch, der Ton kratzt und fiept, statt voll und rund zu sein. Wie können wir unser Lebensinstrument neu stimmen und den Ton kräftigen? Die Lösung ist der Vagus-Nerv. Dieser lange, sich nach unten fein verzweigende Nerv zieht sich wie die Saite eines Streichinstruments vom Gehirn durch unseren Körper. Wenn wir ihn zum Schwingen bringen, sind wir wieder im Einklang mit uns selbst. Gesund an Körper, Geist und Seele … Doch wie kann man den Vagus-Nerv stimmen? Wir verraten es dir:
„Erkenntnis gewinnen über die Weisheit unseres Körpers“
Sabine M. ist ein fröhlicher, optimistischer Mensch. Seit ihre beiden Kinder in der Krippe sind, arbeitet die 41-Jährige in Teilzeit in einem kleinen Optiker-Laden. Die Beziehung zu ihrem Mann ist gut, ihre Freundschaften versucht sie soweit wie möglich zu pflegen. Doch seit einiger Zeit fühlt Sabine sich ausgelaugt. Nachts liegt sie wach, kommt nicht zur Ruhe. Ihr Herz klopft, sie hat Kopfschmerzen. Auch tagsüber scheint ihr Körper, selbst wenn sie auf der Couch sitzt, in Alarmbereitschaft zu sein. „Ich habe das Gefühl, dass ich ständig im Dauerlauf bin“, beschreibt sie diese Erfahrung. „Mein Kopf fühlt sich an, als ob er mit Beton gefüllt wäre, als er ob er unter Druck steht.“
Was Sabine zusätzlich belastet, sind die negativen, traurigen Gedanken, die sie oft ohne Grund überfallen und die sie sonst gar nicht von sich kennt. Die Hausärztin checkt Sabine gründlich durch – ohne eine Diagnose für die körperlichen Beschwerden und die Stimmungsschwankungen. Doch sie gibt ihrer Patientin einen Tipp: eine Aktivierung des Vagus-Nervs!
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Der Vagus-Nerv ist ein echter Allrounder im menschlichen Körper. Wie ein Fluss mit einem breiten Hauptstrom und vielen, winzigen Nebenflüsschen durchzieht er unseren Körper vom Gehirn über den Brustkorb bis in den Bauchraum. Er versorgt unsere Organe, die Lunge, das Herz und regelt die Verdauung. Sein „Vagabundieren“ durch den ganzen Körper hat ihm den Namen „Vagus“ eingebracht. Wenn jedoch Teile des Flusses blockiert, wenn Nebenflüsse der Vagus-Nervs gesperrt sind, Informationen nicht fließen können – dann gerät der Mensch aus dem Gleichgewicht. Er leidet – und kann keine klare Ursache erkennen. Er findet nicht zur Ruhe – und läuft oft erfolglos von einem Arzt zum anderen …
Denn er wurde lange unterschätzt: der Vagus-Nerv oder auch Nervus Vagus. Dabei ist seine Heilkraft allumfassend. Und sein Einfluss auf unser Wohlbefinden gewaltig. Ohne ihn erfahren wir keine Ruhe, finden keinen Ausweg aus der Hektik, kommen vielen Leiden nicht auf den Grund.
Was aber kann man tun, um den Vagus-Nerv zu aktivieren? Um Voraussetzungen zu schaffen, damit er ungehindert arbeiten kann? Es klingt vielleicht im ersten Moment paradox: Wir müssen dafür sorgen, dass der Nervus Vagus die nötige Spannung erhält. Denn nur wenn er gespannt ist, kann er funktionieren – und unserem Geist und unserer Seele Entspannung verschaffen. Wie man sich das vorstellen kann? Vielleicht ähnlich wie bei der Saite einer Geige. Hängt die Saite durch, klingt der Ton falsch oder kann gar nicht erst entstehen. Nur wenn die Saite die richtige Spannung hat, erzeugt sie einen vollen, runden Klang.
Übertragen auf den Vagus-Nerv heißt das: Der Tonus muss stimmen, damit der Nerv optimal funktioniert. Wie aber können wir unsere so wichtige „Lebens-Saite“ spannen? An welcher Schraube müssen wir drehen, um unser inneres Instrument zu stimmen und unsere Wohlfühl-Melodie wieder zum Klingen zu bringen?
Psychologen und Ärzte sind zu einem überraschend einstimmigen Ergebnis gekommen: Effektiv und nachweisbar lässt sich der Nervus Vagus durch Meditation beeinflussen. Sie steigert die Spannung des Vagus-Nervs. Ebenso wie gezielte Übungen oder Physiotherapie. Alle haben das gemeinsame Ziel: Den Tonus des Vagus-Nervs zu erhöhen – und damit die Bahn frei zu machen für positive Signale an unsere Psyche. Wie etwa „Du darfst jetzt loslassen“ oder „Nehme den Schmerz als Teil deines Lebens an“.
Der Präventiv- und Sportmediziner Gerd Schnack („Der Große Ruhe-Nerv. Sofort-Hilfen gegen Stress und Burnout“, Kreuz-Verlag) geht sogar noch weiter. Er macht den Vagus für unser persönliches Glücksempfinden verantwortlich: „Über den Vagus-Nerv können wir unser Glücksgefühl selbst beeinflussen. Aktivieren wir den Nerv, versetzen uns die Hormone des vegetativen Nervensystems in eine glückliche Stimmung.“ Das geht zum Beispiel über die Atmung. Der Mediziner entwickelte dafür eine Methode, die im ersten Moment seltsam klingen mag – aber vielleicht einen Versuch wert ist: sogenannte Kehlkopfvibrationen, die durch gezieltes Ausatmen hervorgerufen werden. Schack: „Dabei wird das Ausatmen bewusst verlängert, indem man dem ausfließenden Luftstrom durch Kehlkopfvibrationen einen kontrollierten Widerstand entgegensetzt.“ Wichtig seien dabei tiefe Frequenzen, die die Stimmbänder in tönende Schwingungen versetzen. Wie das klingen soll? Schack: „Lernen Sie zu schnurren wie eine Katze und Sie werden in Sekunden in die Tiefenentspannung des Großen Ruhe-Nervs versetzt.“
Der Vagus-Nerv, ein wahres Wunderwerk unseres Körpers! Auch für Sabine M. war er der rettende Helfer in der Not. Die 41-Jährige fand eine Physiotherapeutin, die sie umfassend beriet und behandelte. Langsam klangen die Symptome ab, der Herzschlag wurde ruhiger, der Druck im Kopf ließ nach. Wenn ihre Kinder jetzt am Abend mit den Zahnbürsten aufeinander losgehen, wenn ein Kunde seinem Ärger lautstark Luft macht, wenn Sabine M. in einen Stau gerät – wenn Stress angesagt ist? Dann setzt sie auf den großen, mächtigen Hauptnerv ihres Parasympathikus – den Vagus-Nerv – und atmet ganz langsam aus.
Mantra 2 Lokah Samastah Sukino Bhavantu
Übung: So aktivierst du deinen Vagus-Nerv
Stelle dich aufrecht mit dem Rücken zu einer Wand. Die Schulterblätter sind zusammengezogen, der Brustkorb ist offen. Der Blick geht nach vorne.Klemme eine Nackenrolle oder einen weichen Ball zwischen Kopf und Wand, ohne dass großer Druck entsteht.Versuche jetzt, den Druck leicht zu erhöhen, indem du nur eine horizontale Kopfbewegung nach hinten durchführst – ähnlich der Kopfbewegung einer Taube. Der Kopf wird dabei nicht gesenkt. Hals, Nacken und Rücken bleiben ruhig. Es entsteht ein kleines Doppelkinn.Halte den sanften Druck etwa 20 bis 30 Sekunden. Mach diese Übung jeden Tag, gerne auch mehrmals täglich! „Durch diese Übung bewirken Sie eine Streckung des Nackens, insbesondere der kurzen Nackenmuskulatur. Bei Einklemmungen – durch eine Verschiebung der ersten beiden Halswirbel – entlasten Sie so den Nervus vagus an seiner Austrittsstelle. Generell empfehle ich auch zur Vagus-Stimulation ein gezieltes Ausdauertraining, das ganzheitlich stärkt und sowohl körperlichen als auch seelischen Problemen entgegenwirkt.”
Anatomie des Nervus-Vagus
Der Vagus-Nerv (lat. vagus = umherwandernd), der zehnte Hirnnerv, läuft vom Hirnstamm am Hals entlang durch den Brustkorb zum Herzen und weiter in die Bauch- und Verdauungsorgane. Mit seiner Größe und seinen unzähligen winzigen Verästelungen gilt er als wichtiges Bindeglied zwischen Geist und Körper. Er gibt Informationen vom Gehirn an Herz und Bauch weiter und umgekehrt und fungiert damit als eine Art Kommunikationszentrale. Er ist der größte Nerv des Parasympathikus, also des Bereichs des vegetativen Nervensystems, das für Entspannung und Regeneration zuständig ist. In dieser Funktion bewirkt der Vagus beispielsweise die Verlangsamung der Herzfrequenz, sorgt für die Ausschüttung von Verdauungsenzymen, und kümmert sich um die Darm-Peristaltik, also die Weiterleitung der Nahrung im Verdauungssystem. Ist der Vagus-Nerv in seiner Funktion beeinträchtigt, hat dies Auswirkungen auf den gesamten Organismus.