top of page

Siddhis

In diesem Abschnitt des Yoga Sutra erläutert Patanjali einige der sog. Mahasiddhis, der ganz besonderen übersinnlichen Kräfte. Diese Kräfte werden in verschiedenen Yoga-Texten genannt und sie klingen sehr phantastisch, es gibt jedoch immer wieder Geschichten von Yoga Meistern die solcherlei Fähigkeiten gehabt haben sollen. Die Meister sind sich allerdings darüber einig, dass jegliche Siddhis immer ein Hindernis auf dem wahren Weg zur höchsten Freiheit darstellen. So zähle ich zwar hier die ganzen Methoden des Yoga Sutra im Rahmen meiner Kommentierungen auf, jedoch sollte man nie das Ziel des Yoga aus den Augen verlieren.

Swami Sivananda sagt über Siddhis:

„Yoga ist nicht dazu da, Siddhis, Kräfte, zu erlangen. Wenn ein Yogaschüler die Versuchung verspürt, Siddhis zu erlangen, wird sein weiterer Fortschritt ernsthaft verzögert. Er hat den Weg verloren. Ein Yogi, der darauf konzentriert ist, höchsten Samadhi zu erreichen, muss Siddhis zurückweisen, wo auch immer sie auftauchen. Siddhis sind Einladungen von Devatas. Nur wenn man diese Siddhis zurückweisen kann, kann man Erfolg im Yoga erlangen.“

Nun also meine Ausführungen über den Abschnitt 43-47 des 3.Kapitels „Vibhuti Pada“:

Patanjali Yoga Sutra, Vers 3.43

3.43 कायाकाशयोः संबन्धसंयमात् लघुतूलसमापत्तेश्चाकाश गमनम् kāyākāśayoḥ saṁbandha-saṁyamāt laghu-tūla-samāpatteśca-ākāśa gamanam kāya = Leib, Körper ākāśa = Licht, Helligkeit, Raum, Äther saṁbandha = Beziehung, Relation, Verbindung saṁyama = tiefe Versenkung, Fesselung, AuKörperung laghu = leicht, schnell, rasch tūla = Watte, Baumwolle, Büschel samāpatti = Zusammentreffen, Verbindung ca = und, auch gamanam = gehen, sich bewegen, Fortbewegen

„Samyama in die Verbindung von Körper und Raum lässt den Yogi leicht werden und durch den Raum reisen.“

In verschiedenen klassischen Yoga Texten werden unterschiedliche übernatürliche Kräfte benannt, so z.B.:

5 Hauptsiddhis und 5 Nebensiddhis im Shrimad Bhagavatam8 Siddhis im Charaka Samhita (ein Ayurveda Text)8 Mahasiddhis im Mahabharata

Und natürlich die vielen Siddhis des 3. Kapitels im Yoga Sutra. Das eben benannte Siddhi des Reisens durch den Raum im Vers 3.43 wird im Mahabharata als „prāpti“ bezeichnet: unbeschränkten Zugang zu allen Orten haben oder auch „laghiman“: beinahe schwerelos werden oder nach Swami Sivananda: die Macht, zu Licht zu werden. Im Shrimad Bhagavatam ist es „manaḥ-javah“: den Körper an jeden gewünschten Ort versetzen.

Im Unterschied zu Vers 40, bei dem es um Levitation geht, wird hier die Teleportation beschrieben: das Reisen durch den Raum zu einem anderen Ort. Die Idee hinter diesem Vers ist ein Erreichen von ultimativer Leichtigkeit im Raum um dadurch über die scheinbaren Naturgesetze hinaus zu gehen. Ich persönlich glaube an das funktionieren dieser Techniken, allerdings wird jemand der sie beherrscht damit nicht hausieren gehen.

Patanjali Yoga Sutra, Vers 3.44

3.44 बहिरकल्पिता वृत्तिः महाविदेहा ततः प्रकाशावरणक्षयः bahir-akalpitā vṛttiḥ mahā-videhā tataḥ prakāśa-āvaraṇa-kṣayaḥ bahiḥ = außen, äusserlich, draussen, außerhalb akalpitā = unvorstellbar, nicht hergestellt, nicht künstlich vṛtti = Gedankenwelle, Bewegung im Geiste maha = groß, sehr, maximal videhā = Körperlosigkeit, vom Körper befreit tataḥ = daher, davon prakāśa = Licht, Hell, Öffentlich, āvaraṇa = Verhüllung, Schleier, Hülle kṣayaḥ = Verschwinden, Abnahme, Verminderung, Verlust, Vernichtung, Reduzierung,

„Ausführung von Samyama auf unvorstellbare äußere Gedankenwellen führt zur Fähigkeit, außerhalb des physischen Körpers zu verbleiben und die Verhüllung des Lichts aufzulösen.“

Es gibt nicht nur im Yoga sondern auch im Buddhismus sehr weit fortgeschrittene Mönche, Yogis und Eremiten welche die Fähigkeit erlangt haben den Körper dauerhaft zu verlassen, siehe z.B. die „Mumien Mönche„: Vor einiger Zeit ging z.B. eine Nachricht von einem russischen Mönch durch die Medien, der wie angewiesen 30 Jahre nach seinem Tod wieder ausgegraben wurde und nicht verwest war. Man kann den Vers aber auch so interpretieren, dass man erkennt nicht der Körper zu sein (also Körperlos ist) durch die Auflösung der Identifikation mit den Gedanken, dadurch wird dann die benannte „Verhüllung des Lichts“ aufgelöst, also das wahre Selbst erkannt.

Patanjali Yoga Sutra, Vers 3.45

3.45 स्थूलस्वरूपसूक्ष्मान्वयार्थवत्त्वसंयमात् भूतजयः sthūla-svarūpa-sūkṣma-anvaya-arthavattva-saṁyamāt bhūtajayaḥ sthūla = grob, dick, feist, massiv, äußere Aspekte svarūpa = eigene Form, wahre Natur sūkṣma = subtil, fein, schmal, dünn anvaya = Abfolge, Nachfolge, Zusammenhang artha-vattva = dem Zweck förderlich, Bedeutsamkeit saṁyama = tiefe Versenkung, Fesselung, Ausrichtung bhūta = Elemente jayaḥ = Sieg, Herrschaft, Gewinn, Meisterschaft, Kontrolle

„durch Samyama auf grobstoffliche Dinge und deren feine Zusammenhänge beherrscht man die Elemente.“

Kurz gesagt: wenn wir uns auf die Qualitäten der einzelnen Elemente ausrichten und tief darüber Meditieren, können wir Meisterschaft über sie erlangen. Ziel des Yoga ist aber, über die Elemente hinaus zu gehen. Mehr dazu im nächsten Vers.

Patanjali Yoga Sutra, Vers 3.46

3.46 ततोऽणिमादिप्रादुर्भावः कायसंपत् तद्धरानभिघात्श्च tato-‚ṇimādi-prādurbhāvaḥ kāyasaṁpat tad-dharmānabhighātśca tataḥ = daher, davon aṇiman = die Kunst, sich unendlich klein zu machen ādi = usw., usf.; Anfang, Beginn prādurbhāvaḥ = Erscheinung, zum Vorschein kommen, Sichtbar kāya = Leib, Körper saṁpat = Vollkommenheit, gelingen, Erfolg tat = von diesem, dessen dharma = Funktion, Ordnung, Tugend, Aufgabe, Pflichterfüllung, Natur anabhighāta = Nichtüberwältigung, Nichtangriff, Unverwundbarkeit ca = und

„Daraus entsteht (beispielsweise) die Kunst, sich unendlich klein zu machen, sowie das Erreichen eines vollkommenen Körpers und unüberwindbarkeit der Tugend.“

Also eine Meisterung der Elemente bzw. ein Sieg darüber führt zu den sogenannten Mahasiddhis, den großartigen Fähigkeiten.

Viele Kommentatoren sehen hier einen Bezug zu den 8 Mahasiddhis aus dem Mahabharata:

Anima- die Macht, klein zu werdenMahima- die Macht, groß zu werdenLaghima- die Macht, zu Licht zu werdenGarima- die Macht, schwer zu werdenPrapti- die Macht, sich überall hin auszuweitenPrakamya- die Macht, alle Wünsche zu erfüllenIshitva- HerrschaftVashitva- die Macht, alles zu befehlen

Jedoch wird im Vers nur die erste Kraft genannt: aṇima. Man kann sagen, dass Patanjali mit dem ersten Wort der Aufzählung die gesamten 8 Mahasiddhas meinte, zumal der Anhang an „aṇima“, das „ādi“ auch „und so weiter“ bedeuten kann. Die beiden anderen Fähigkeiten kāyasaṁpat und anabhighāta gehören nicht zu den 8 Mahasiddhis. Wie bei allen genannten „Superkräften“ können wir auch diese 8 Siddhis groß oder klein Interpretieren, man kann also die 8 genannten Punkte auch auf den Geist beziehen, also z.B. „unendlich klein werden“ bedeutet sich klein machen bzw. nicht so wichtig nehmen, zweifelsohne eine wichtige Fähigkeit!

Patanjali Yoga Sutra, Vers 3.47

3.47 रूपलावण्यबलवज्रसंहननत्वानि कायसंपत् rūpa-lāvaṇya-bala-vajra-saṁhananatvāni kāyasaṁpat rūpa = Schönheit, richtige Gestalt, Form lāvaṇya = Anmut bala = Gewalt, Wucht, Stärke, Kraft vajra = Diamant, Donnerkeil saṁhana-natvāni = Härte, Festigkeit, verhärtet kāya = Leib, Körper saṁpat = Vollkommenheit, gelingen, Erfolg

„Körperliche Vollkommenheit ist anmutiges Aussehen, Kraft und Festigkeit eines Diamanten.“

Dieser Vers nennt weitere Vorteile die wir durch die Beherrschung der Elemente bekommen. Es gibt viele Geschichten von sagenhaften Yogis die den physischen Tod verzögert haben, von manchen heißt es sogar, dass sie Jahrhunderte im selben Körper verweilten. Beispielsweise Devraha Baba der über 250 Jahre alt gewesen sein soll und 1990 starb, oder auch Krishna Singh Shriman Tapasviji Maharaj der 185 Jahre alt wurde, bezeugt u.a. von einem ehemaligen Präsidenten Indiens. Dazu muss man also wie gesagt die Elemente beherrschen, oder jemanden kennen der in die Geheimnisse der sagenumwobenen „Kaya Kalpa“- Kur einweiht.

Soweit mein Kommentar zu den Versen 43-47 im Vibhuti Pada des Yoga Sutra.

22 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Sie haben mich gehasst, weil ich gesehen habe, was sie selbst nicht sehen konnten. Sie haben mich beschimpft, weil ich wusste, was sie nicht wahrhaben wollten. Sie haben mich belächelt, weil ich gefüh