Transpersonale Erfahrungen
Aktualisiert: 13. Jan. 2020
I. Transpersonale Dimensionen
Transpersonale Erfahrungen können wir zu allen Zeiten unseres Lebens machen. Besonders häufig treten sie auf in der Kindheit, in der spirituellen Krise um die Lebensmitte und im Alter.
Der wohl bedeutendste Vertreter der transpersonalen Psychologie, Stanislav Grof, unterscheidet drei verschiedene transpersonale Dimensionen:
Erweiterung des Erlebens innerhalb der objektiven Realität.
Dazu zählen unter anderem die Identifikation mit anderen Menschen, Psi-Phänomene, Erinnerungen an frühere Inkarnationen, Nahtoderfahrungen.
Erweiterung des Erlebens über die Grenzen der objektiven Realität hinaus.
Dazu gehören unter anderem die Begegnung mit universellen Archetypen, mit Gottheiten, tierischen Geistern, Außerirdischen sowie spiritistische Erfahrungen.
Transpersonale Erfahrungen psychoider Natur
wie zum Beispiel Synchronizitätserlebnisse, Psychokinese, Ufo-Phänomene und Wunderheilung.
II. Transpersonales Bewusstsein
Im weitesten Sinne ist jedes Bewusstsein, das die Grenzen der eigenen Person zu überschreiten vermag, transpersonal. Ken Wilber unterscheidet zwischen einem präpersonalen kindlichen Bewusstsein, das die Erfahrung, eine eigenständige Person zu sein, noch nicht gemacht hat, einem personalen Bewusstsein, dem es vor allem darum geht, in der Welt Fuß zu fassen mit beruflichem Erfolg, familiärem Glück usw. und einem transpersonalen Bewusstsein, das die Grenzen des rein Immanenten erfahren und diese durch eine Öffnung zum Transzendenten hin überwunden hat.
Die günstigste Gelegenheit für transpersonale Erfahrungen wäre demnach der Zeitpunkt, zu dem man zu einer Person herangereift ist und reif dafür ist, diese wieder aufzugeben zugunsten einer neuen Identität, die auf dem Prinzip der Nichtidentifikation basiert.
Während das personale Bewusstsein noch glaubt, es sei der Handelnde und deshalb stolz auf seine eigenen Errungenschaften ist oder an deren Ausbleiben verzweifelt, ist das transpersonale Bewusstsein mit dem universellen schöpferischen Prinzip in Berührung gekommen, nach dessen Melodie alle Quanten und Quantenverbände tanzen. Auf der Quantenebene ergibt es keinen Sinn mehr, zwischen Materie und Geist, zwischen Organischem und Anorganischem kategorisch zu unterscheiden, da sich hier alles beseelt zeigt und mit allem Existierenden verbunden ist.
Auf der transpersonalen Ebene ergibt es ebenso wenig Sinn, zwischen Subjekt und Objekt zu unterscheiden.
"Was wir sehen, ist nicht, was wir sehen, sondern was wir sind."
Fernando Pessoa: Das Buch der Unruhe, 3. Aufl. Frankfurt/M: Fischer, 2008, S. 426, Nr. 451
Dieser Satz des Portugiesischen Schriftstellers Fernando Pessoa verdeutlicht auf ebenso einfache wie klare Weise, was Nichtindentifikation bedeutet. Wenn ich stets das bin, was ich sehe, habe ich genau so viele Identitäten wie Wahrnehmungen, also keine Identität.
Hier liegt eine schwierige Klippe beim Eintauchen ins transpersonale Bewusstsein, da die meisten Menschen fürchten, mit ihrer Identität auch ihre Individualität zu verlieren. Dazu besteht aber in Wirklichkeit kein Anlass, denn die unzähligen flüchtigen "Identitäten" eines Individuums machen gerade seine Individualität aus. Im Gegenteil: Wir verlieren unsere Individualität, wenn wir uns mit bestimmten Wahrnehmungen identifizieren, denn das tun die meisten anderen auch, von denen wir uns dann mit unseren Anhaftungen und Projektionen nicht mehr wesentlich unterscheiden. Entsprechendes gilt für die Makroebene des Ganzen.
Auch halluzinogene Pilze können transpersonale Erfahrungen induzieren.
Unter anderem als "magic mushrooms" bezeichnete Psychedelika werden schon seit mehr als 2000 Jahren von mittel- und südamerikanischen Schamanen dazu genutzt.
Auf der Website der Ethnologin Anne Stephanos finden Sie dazu viele hilfreiche Informationen.
Das wesentliche Kennzeichen einer transpersonalen Erfahrung besteht darin, dass wir unsere Verbundenheit mit dem Ganzen auf eine über jeden Zweifel erhabene sinnliche Weise erfahren. Wir werden uns bewusst, dass die egozentrische Perspektive, aus der heraus die meisten Menschen die Welt betrachten, eine künstliche Verzerrung, das heißt, eine Illusion ist. Im transpersonalen Zustand haben wir die Gewissheit, dass wir all das sind, was wir wahrnehmen und nur das sind, was wir wahrnehmen.
In den alten Veden lautet die entsprechende Formel tat twam asi = das - was du siehst - bist du.
Der Philosoph Arthur Schopenhauer erklärt in seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung, jeder, der diese alte Weisheit leben könne, sei auf dem direkten Weg zur Erleuchtung. An gleicher Stelle definiert der Philosoph auch den Begriff "Egoismus" auf eine eigenwillige, doch wie ich finde, treffende Weise:
"Der Egoismus besteht eigentlich darin, daß der Mensch alle Realität auf seine eigene Person beschränkt, indem er in dieser allein zu existieren wähnt, nicht in den anderen."
Arthur Schopenhauer: Hauptwerke Band I - Die Welt als Wille und Vorstellung, Köln: Parkland, 2000, S. 1084, II,41
Wer sich einen Blick angewöhnt hat, der von der Gewissheit ausgeht, dass es die Verbundenheit von allem mit allem nicht gibt, der wird irgendwann keine Antennen mehr haben, mit denen die von der Einheit ausgesendeten Frequenzen wahrgenommen werden könnten. Man kann sich das ungefähr so vorstellen, als ob er in dem Bild unten alles, was sich unterhalb der Wasseroberfläche befindet, sowie alles, was von ihr gespiegelt wird, nicht sehen könnte. Trotzdem wird er, was er sieht, für die einzig wahre Realität halten, und womöglich jeden, der mehr zu sehen glaubt, für einen Spinner halten.
Entsprechend kann man transpersonale Erfahrungen als Vorgänge verstehen, in denen man schlagartig Zugang zu der erweiterten ganzheitlichen Wahrnehmung hat und seine bisherige beschränkte Sichtweise als Illusion erkennt. Die damit verbundene existenzielle Gewissheit, die alle bisherigen Gewissheiten bei weitem übertrifft und im Idealfall in ein durchgänges transpersonales Bewusstsein mündet, lässt es einen dann auch mit Gelassenheit ertragen, wenn man von beschränkten "Realisten" als beschränkt bezeichnet wird. Schließlich war jeder, bevor er seine personale Maske einmal ablegen konnte, mit einer beschränkten Wahrnehmung ausgestattet und kann jederzeit Rückfälle in alte Muster erleben, wenn er sich nach einem einmaligen Durchbruch bereits für erleuchtet hält.
Es gibt deshalb keinen Grund, sich auf eine erweiterte Wahrnehmung etwas einzubilden, und dies wiederum aus zwei Gründen. Zum einen bin ich davon überzeugt, dass Durchbruchserlebnisse nie allein auf eigenen Aktivitäten basieren, sondern immer auch ein Akt der Gnade sind, für den man sich nur durch eine demütige Haltung erkenntlich zeigen kann. Zum anderen bedeutet ein kurzer Einblick in die transpersonale Ebene noch lange nicht, dass man dadurch nachhaltig zu einem besseren Menschen geworden ist. Auch hier gilt der berühmte zenbuddhistische Spruch:
"Vor der Erleuchtung: Holz hacken und Wasser tragen. Nach der Erleuchtung: Holz hacken und Wasser tragen."
Transpersonale Erfahrungen ermöglichen uns punktuell, die Grenzen unserer personal beschränkten Wahrnehmung zu überschreiten. Bei einer gelungenen Integration dieser Erfahrungen in das alltägliche Leben können sie in ein transpersonales Bewusstsein münden, das es der Wahrnehmung ermöglicht, kreativ mit der Wirklichkeit zu spielen.
Foto: Botanischer Garten, Köln
Andreas Tenzer
Außergewöhnliche Bewusstseinszustände werden nicht ganz zu unrecht oft mit halluzinogenen Drogen in Verbindung gebracht. In der Tat könnte die Betrachtung eines Edelsteins zum Beispiel unter LSD-Einfluss jene Bilder in uns zur Resonanz bringen. Dem transpersonalen Bewusstsein sind die Innenwelten von Dingen und Lebewesen aber auch ohne Drogen prinzipiell zugänglich. Dafür müsste sich das Bewusstsein entweder noch im präpersonalen Zustand befinden oder durch meditative Gewahrseinsübungen geschult werden. Wir müssten neu lernen, die Dinge nicht als Gegen-Stände, sondern als potenzielle Innenwelten wahrzunehmen.
Wer eine Abkürzung zu transpersonalen Erfahrungen ohne Drogen sucht, dem kann ich eine Methode empfehlen, die der bereits erwähnte Bewusstseinsforscher und Transpersonale Psychologe Stanislav Grof entwickelt hat. Das sogenannte Holotrope Atmen kann unter anderem einen Vorgeschmack auf das Potenzial hervorrufen, das in transpersonalen Erfahrungen schlummert.
III. Holotropes Atmen und das Abenteuer der Selbstentdeckung
Für die Initiation transpersonaler Erfahrungen benutzt Grof heute das sogenannte holotrope Atmen, nachdem die Arbeit mit LSD gesetzlich verboten wurde. Die Teilnehmer geraten durch eine Kombination aus Atemtechnik, Entspannung, sehr lauter und extrem psychoaktiver Musik sowie gezielter Körperarbeit in einen außergewöhnlichen Bewusstseinszustand, in dem sie die Grenzen ihrer individuellen Persönlichkeit überschreiten. Wer sich näher dafür interessiert, dem empfehle ich das sehr lesenswerte Buch Stanislav Grof - Das Abenteuer der Selbstentdeckung.
Stanislav Grof, geb. 1931, bei der Verleihung eines Preises für sein Lebenswerk durch Vaclav Havel in Prag, 2007
Stan Grof ist ein Pionier auf dem Gebiet der Erforschung erweiterter Bewusstseinszustände.
Bis 1967 arbeitete er in seiner Geburtsstadt Prag als Mediziner und Psychoanalytiker. Als er im Rahmen eines Forschungsprojekts der Schweizer Firma Sandos den Auftrag bekam, die Möglichkeiten des Einsatzes von LSD in der Psychiatrie zu prüfen, bahnte sich eine revolutionäre Wende in seinem Leben an.
Er nahm zu Forschungszwecken selbst LSD und machte die Entdeckung, dass die halluzinogene Droge bei ihm ähnliche Erfahrungen provozierte, wie er sie bis dahin nur von Patienten kannte, die als psychisch krank galten.